Die Gerechtigkeitsfalle

Gerechtigkeit ist ein gefälliger Begriff. Alle, die sich für anständige Menschen halten, müssen ganz einfach für eine gerechte Gestaltung gesellschaftlicher, sozialer und rechtlicher Normen eintreten. Ungerechtigkeiten, wo und in welcher Form sie auch immer zutage treten mögen, gehören umgehend beseitigt.

Das klingt grandios und birgt unter der Oberfläche einige Tücken. Angehenden Juristen werden von ihren Professoren gleich in den ersten Vorlesungen mit der Mitteilung brüskiert, dass Recht nichts mit Gerechtigkeit zu tun habe. Die Gerechtigkeit besteht allenfalls darin, dass gesetzliche Normen für alle gelten. Als subjektiv gerecht wird ein mit seinem Nachbarn vor Gericht über einen Neubau streitenden Grundeigner eine Einschränkung der Bauhöhe auf x Meter nicht empfinden. Auch wenn sie so im Gesetz steht.

Der Standort bestimmt den Standpunkt, und weil das so ist, lässt sich die Gerechtigkeit mit jedem beliebigen Inhalt füllen. Die Forderung nach Gerechtigkeit ist daher genauso sinnlos wie die Forderung nach objektiver Information durch die Medien. Kein noch so um Unparteilichkeit bemühter Journalist kann einen „objektiven“ Beitrag liefern. Jede Story basiert notgedrungen auf einer Auswahl von Fakten.

In zeitgenössischen mitteleuropäischen Gesellschaften schwingt in der Gerechtigkeit immer die Idee von Gleichheit und Ausgleich mit. Wir dürfen uns ja auch dafür auf die Schulter klopfen, dass heutige Gesetze für alle gelten. Das war schließlich nicht immer so. Bei anderen Themen wird die Meinungsfindung schwieriger: Ist eine progressive Besteuerung gerecht? Oder doch lieber eine Flat-tax? Sollen Lasten nach dem Verursacherprinzip verteilt werden oder doch von allen getragen? Sollen Sportler wegen des Verletzungsrisikos höhere Sozialversicherungsbeiträge bezahlen? Oder Weintrinker und Fettleibige? Oder jede dieser Gruppen?

Eine plastische Darstellung der Gerechtigkeitsfalle liefert das Beispiel eines Kindergeburtstages. Gerecht ist, wenn alle Kinder ein gleich großes Stück Torte bekommen. Soll das Geburtskind ein größeres Stück erhalten? Wie steht es mit den Kindern, die bei der Organisation halfen? Ist es gerechter nach Altersgruppen zu teilen?

Bei öffentlichen Rufen nach mehr Gerechtigkeit hier oder da, ist es also durchaus angebracht nach dem Cui bono? zu fragen. Sie ist eben unglaublich wandlungsfähig und steht jedem politischen Thema zu Gesicht.

Autorin:

Helga Tomaschtik

Mag. Helga Tomaschtik

Die Gerechtigkeitsfalle

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