Der Applaus war dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman sicher. Der smarte 32jährige hob ein Verbot auf, das schon seit vielen Jahren für Kopfschütteln gesorgt hatte. Der angehende Herrscher des Wahabitenstaates ließ endlich Frauen ans Steuer von Autos. Saudi-Arabien war bis zu diesem Zeitpunkt das letzte Land der Welt, in dem Führerscheine nur an Männer ausgegeben wurden. Das soll sich nun im flächenmäßig größten Staat der arabischen Halbinsel grundlegend ändern. In unserer westlichen Welt der Zeichen und Signale interpretierte man aber in diese Gesetzesänderung etwas hinein, das es bei weitem nicht ist. Mit einem gewissen Schuss Romantik wurde bin Salmans Vorgehen als Zeichen der Liberalisierung, vielleicht sogar als Vorbote der Demokratisierung oder als erster Schritt zum Ablegen des engen Korsetts wahabitischer Glaubensauffassungen gesehen. Man kann nicht leugnen, dass wir Westeuropäer gerne eine gewisse blauäugige Naivität an den Tag legen, wenn wir glauben oder glauben wollen, dass irgendwo in der Welt ein Schritt in Richtung unseres Wertegefüges gemacht wird.
Seine Vision 2030 hat der Kronprinz jedenfalls spektakulär ins Gespräch gebracht – nicht nur mit dem neuen Gesetz zum Führerschein, sondern unter anderem auch mit Neom, der Stadt der Zukunft. Dass diese Vision 2030 allerdings ökonomischen und demographischen Themen geschuldet ist, wurde nur am Rande angesprochen. Fakt ist, dass sich – um ein altes Bonmot zu strapazieren – in Saudi-Arabien vieles ändern muss, damit alles beim Alten bleiben kann. Ölproblematik, grundlegende Veränderung des Arbeitsmarktes, Durchschnittsalter der Gesellschaft, Mitgestaltungswillen der jungen Menschen oder Machthunger konservativer Eliten bieten ein hohes explosives Potenzial.
Das alles wollten wir aber nicht so genau sehen. Und waren überrascht, dass mit den ersten Veränderungsschritten auch Verhaftungswellen zur Eindämmung der Korruption einhergingen. Uns hätte es gefallen, wenn wir manches als Zeichen einer Liberalisierung interpretieren hätten können. Das ist aber so nicht vorgesehen. Es geht um die Macht und das Land wird nur moderner. Versuchen wir einfach zu verstehen, dass nicht jede Kultur versucht, ihre Angelegenheiten nach unseren Werten zu regeln. Das stellt ganz sicher nicht zufrieden, verhindert aber Blauäugigkeit und vielleicht auch Arroganz in der Bewertung.
Autor:
Dr. Christian Lang