Als das Präsidium der Salzburger Festspiele entschied heuer das Thema Macht programmatisch abzuhandeln war von einem Wahltermin am 15. Oktober noch keine Rede. Insofern ist die politische Aktualität der bei den Festreden zur Eröffnung vorgetragenen Analysen eine rein zufällige. Brisant sind sie allemal.
Ferdinand von Schirach, Jurist, Strafverteidiger und Autor des interaktiven Theaterstücks `Terror´, in dem die Legitimität des Abschusses eines entführten Flugzeuges diskutiert wird, widmete sich der Crowd, dem durch Social media beflügelten Schwarm, und den daraus resultierenden Verschiebungen im politischen Machtgefüge. Sich am Schwarm zu orientieren und das politische Handeln an der Mehrheitsmeinung auszurichten sei gefährlich, sagt von Schirach. Das führe zwangsläufig zu einer Tyrannei der Mehrheit über Minderheiten und zu Entscheidungen mit katastrophalen Folgen. „Stellen Sie sich vor“, so von Schirach, „ am Tag nach dem Sexualmord an einem Kind würde über die Wiedereinführung der Todesstrafe abgestimmt – die Mehrheit der Menschen wäre sicher dafür.“ Das Land würde vom Volkszorn regiert, der leicht zu entfachen und immer brutal ist. Es gebe eben nicht nur eine Schwarmintelligenz, sondern auch eine Schwarmdummheit, eine Schwarmgemeinheit und eine Schwarmbösartigkeit.
Mehrheitsentscheidungen basierten oft auf Wut und Rache. Man denke nur an die Terrorherrschaft der Jakobiner während der Französischen Revolution, die Brexit-Abstimmung oder jüngste Demonstrationen in der Türkei gegen die Niederlande. Es ist also keineswegs so, dass die Mehrheit nicht irren kann. Hier kann auch die Massenpsychologie erprobte Erkenntnisse beisteuern. Etliche, hochqualitative und in verschiedenen Ländern durchgeführte Studien zeigen klipp und klar, dass Menschen, wenn ihnen eigene Expertise fehlt, sich der Mehrheit anschließen. Das mag bei einer TV-Show okay sein, als Regierungsinstrument jedoch sicher nicht.
Von Schirach findet unser derzeitiges System gar nicht so schlecht. Immerhin ist es in diesem System möglich eine Regierung friedlich abzuwählen. Darüber hinaus würden die Wünsche und Ansprüche von Minderheiten beachtet und bei Entscheidungen auf einen Ausgleich der Interessen wert gelegt. Zumindest theoretisch. Dass die Praxis womöglich zuweilen anders aussieht, könnte in einen Nebensatz von Bundespräsident van der Bellens Festrede hineininterpretiert werden: „Das Recht geht vom Volke aus – zumindest sagt man so.“
Autorin:
Mag. Helga Tomaschtik