Kennen Sie Marmite?

Sie kennen Marmite sicher, wenn Sie einmal in Großbritannien Überland gefahren sind und in einem Bed & Breakfast übernachtet haben. Marmite ist eine dunkelbraune Paste, die Briten bevorzugt auf Ihren Frühstückstoast streichen. Sie schmeckt wie Maggi (wenn Ihnen das etwas sagt) und ist für kontinentale Gaumen eine ungewöhnliche Erfahrung.

An dieser Säule der britischen Geschmackskultur entzündet sich eine Diskussion, die man als erste fühlbare Konsequenz des britischen Brexit-Votums bezeichnen könnte. Infolge dieses Votums ist der Kurs des Pfund gefallen, bis dato um etwas mehr als 15 Prozent. Das freute die Briten, weil eine schwache Währung die Exportchancen erhöht. Und zwar ganz von selbst. Es braucht keine Kostensenkungsprogramme oder Innovationen. Verkaufstreiber ist der Wechselkurs. Der ausländische Mitbewerb wird auf den Märkten über den nun gefallenen Exportpreis britischer Waren niederkonkurrenziert.

Leider funktioniert dieser ökonomische Mechanismus auch umgekehrt. Von Großbritannien importierte Waren müssen teurer werden, wenn der Produzent auf seine Kosten kommen will. Eine Abwertung von mehr als 15 Prozent ist eben keine vernachlässigbare Größe, über die man mit einem Achselzucken hinweggehen kann.

Genau das ist jetzt passiert. Der Verkaufspreis von Marmite, im Euro-Raum zu Euro-Kosten produziert, steigt, und zwar um satte zehn Prozent. Nun könnte man diese Nachricht als possierliches Treppenwitzchen einer Volksabstimmungsgeschichte abtun und zur Tagesordnung übergehen. Allerdings bringt man sich damit um ein interessantes Gedankenexperiment. Marmite steht für viele Waren, die importiert werden. Es wird Gewinner geben und Verlierer. Im Fall von Marmite sind die Würzpaste-auf-Toast-Fans die Verlierer. Gewinner sind die Exporteure von Autos, Flugzeugen und was sonst noch auf der shipping list steht. Gleiches gilt für eine Reihe weiterer Folgen des Brexit, deren Wirkung heute noch gar nicht abzuschätzen ist.

Daraus lässt sich die Vermutung ableiten, dass vielleicht nicht alle aufregenden Themen, an denen sich gruppendynamisch spannende Diskussionen entzünden, für Volksabstimmungen geeignet sind. Weil die Folgen zu komplex sind. Für solche umfassenden Entscheidungen gibt es Regierungen. Die haben wir gewählt, damit sie diffizile Aufgaben auf Basis tragfähiger Folgenabschätzungen lösen. In diesem Sinne hoffe ich, dass uns eine Abstimmung über CETA erspart bleibt.

Autorin:

Helga Tomaschtik

Mag. Helga Tomaschtik

Kennen Sie Marmite?

Kommentar verfassen