Oxford Dictionaries wählt traditionell im Frühwinter das Wort des Jahres. Es soll jenes Wort sein, das das zu Ende gehende Jahr am stärksten geprägt hat. Zum Zug gekommen ist heuer „postfaktisch“, also jenes Wort, das Meinungsäußerungen bar jedes Realitätsbezuges beschreibt. Zur Berühmtheit wurde der Begriff während der beiden für die erste Welt wichtigsten Urnengänge des Jahres, der Brexit-Abstimmung und der Wahl des US-Präsidenten. Bei beiden Ereignissen wurden eine Menge Argumente vorgebracht, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatten.
Oberflächlich betrachtet ist postfaktisch eine etwas euphemistische Bezeichnung für unverschämte Lügen. Eigentlich führt das Postfaktische, wenn es häufig genug vorgebracht und von einem genügend großen Teil der Wähler geglaubt wird, zu einem komplett verzerrten, wenngleich eingängigem, Weltbild. Dieses Weltbild führt zwangsläufig zu falschen Entscheidungen und katastrophalen Ergebnissen. Das Postfaktische ist also niemals harmlos oder ein entschuldbares Täuschungsmanöver in einem hitzigen Wahlkampf. Es ist immer brandgefährlich.
Schon die Anfänge sind es, weil das Postfaktische, also die Lüge, oft nur schwer von vertretbaren und ehrlichen Positionen in einem notwendigen politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Diskurs zu unterscheiden ist. Beispielsweise zu diskutieren, welche ökonomische Theorie am besten für die Lösung aktueller Wirtschaftsfragen heranzuziehen ist, ist vollkommen in Ordnung. Intellektuelle Auseinandersetzungen sind grundsätzlich positiv zu bewerten. Nicht in Ordnung ist es, eine solche Diskussion mit bewusst verfälschten Zahlen, Daten und Behauptungen zu führen.
Noch komplexer wird die Sache, wenn man sich vor Augen führt, dass der Begriff postfaktisch eine bewusste Verfälschung von Tatsachen unterstellt. Es setzt voraus, dass der Manipulierende die Wahrheit kennt. Das wird nicht immer der Fall sein. Menschen machen Fehler oder sitzen selbst einer Fälschung auf. Oder die publizierte Wahrheit ist eine vorläufige, wie es oft bei wissenschaftlichen Erkenntnissen der Fall ist. Und dazu kommt, dass wir Menschen von einer einmal gebildeten Meinung sehr ungern abrücken.
Das Postfaktische zu enttarnen ist also für den Einzelnen kompliziert und anstrengend. Ich hoffe sehr, dass sich in Zukunft möglichst viele die Mühe machen. Denn sonst befinden wir uns plötzlich in einer Welt, die wir so nicht mehr haben wollen.
Autorin:
Mag. Helga Tomaschtik