Wacht auf, Leute!

Wenn die Blätter fallen, haben Marathonsitzungen Hochsaison. Das ist jedes Jahr so. Bis Weihnachten muss alles, das in Wirtschaft und Politik ansteht, unter Dach und Fach gebracht werden, also Koalitionen verhandelt, Kollektivverträge angepasst, Budgets finalisiert, Forderungen an Kontrahenten gestellt und im Gegenzug die eine oder andere Forderung abgewehrt werden.

Nicht selten wird bis weit nach Mitternacht verhandelt. Wochenenden und Feiertage sind so und so nicht tabu. Diese langen Stunden an den Verhandlungstischen haben ihren Preis, der sich in einem enorm verkürzten Schlafpensum niederschlägt. Dafür gibt es auch eine Faustregel. Je wichtiger das Thema ist und je weitreichender die Auswirkungen des Ergebnisses sind, umso länger dauern die Meetings. Und umso unausgeschlafener sind die Verhandler.

Das ist paradox. Schlafentzug bringt für das Individuum enorme Nachteile mit sich. Nicht umsonst zählt die Verweigerung der Nachtruhe zu den anerkannten Foltermethoden. Zu den Folgen zählt unter anderen die Verschlechterung der kognitiven Wahrnehmung, der Verlust analytischer Fähigkeiten und des Verständnisses für Zusammenhänge bis hin zur Verwirrtheit und Sprachstörungen. Das ähnelt durchaus Symptomen, die Menschen zeigen, die gerade auf irgendwelchen Drogen sind.

Besonders arg ist das Missverhältnis zwischen Arbeitsstunden und Ruhepausen in Organisationen, bei denen es zur Kultur gehört das Engagement für die Sache an der im Dienst verbrachten Zeit zu messen. Rekorde sollen in japanischen Unternehmen aufgestellt worden sein, wo Mitarbeiter wochenlang in Schlafsäcken im Büro campierten.

Diese Form des Fleißes wird hierzulande in der Politik auf die Spitze getrieben. Zumindest wird das so kommuniziert. Wenn es wirklich wichtig ist, also Themen mit einem extrem hohen öffentlichen Aufmerksamkeitswert, wird grundsätzlich nächstens konferiert, oder an Sonntagnachmittagen. Aber dann an einem abgelegenen Ort, der von den Teilnehmern nur über einen langen Anfahrtsweg zu erreichen ist.

Manche Staatsbürgerin und mancher Staatsbürger mag es gerne sehen, dass sich die politischen Spitzen in unseren Diensten bis zur Erschöpfung aufreiben. Die Beschlüsse, die dann in den frühen Morgenstunden präsentiert werden, bringen ja auch tatsächlich immer der einen oder anderen Klientel einen Vorteil. Gerne stelle ich mir dann vor welch tolle Ergebnisse ausgeschlafene Verhandler erzielt hätten.

Autorin:

Helga Tomaschtik

Mag. Helga Tomaschtik

Wacht auf, Leute!

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